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Evangelische Emmaus-Kirchengemeinde Senne

Der Turmbau zu Babel

Liebe Christinnen und Christen in der Senne,

ob er so aussehen sollte, der große Turm in Babel - eine Art antiker Wolkenkratzer?
Tempeltürme dieser Art, aus Lehmziegeln gebaut, gab es in Vorderasien in alttestamentlichen Zeiten einige.
Die Rekonstruktion zeigt ihre beeindruckende Größe.
Diejenigen, die uns folgende Erzählung überliefert haben, hatten wohl einen ähnlichen schon mal gesehen.

Im 1. Buch Mose im 11. Kapitel lesen wir:

Damals hatten alle Menschen nur eine einzige Sprache- mit ein und denselben Wörtern. Sie brachen von Osten her auf und kamen zu einer Ebene im Land Schinar. Dort ließen sie sich nieder. Sie sagten zu einander: „Kommt! Lasst uns Lehmziegel formen und brennen!“ Die Lehmziegel wollten sie als Bausteine verwenden und Asphalt als Mörtel. Dann sagten sie: „Los! Lasst uns eine Stadt mit einem Turm bauen! Seine Spitze soll in den Himmel ragen. Wir wollen uns einen Namen machen, damit wir uns nicht über die ganze Erde zerstreuen.“ Da kam der Herr vom Himmel herab. Er wollte sich die Stadt und den Turm ansehen, den die Menschen bauten. Der Herr sagte: “Sie sind ein einziges Volk und sprechen alle dieselbe Sprache. Und das ist erst der Anfang! In Zukunft wird man sie nicht mehr aufhalten können. Sie werden tun, was sie wollen. Auf! Lasst uns hinabsteigen und ihre Sprache durcheinander bringen. Dann wird keiner mehr den anderen verstehen.“ Der Herr zerstreute sie von dort über die ganze Erde. Da mussten sie es aufgeben, die Stadt weiter zu bauen. Deswegen nennt man sie Babel, das heißt: Durcheinander. Denn dort hat der Herr die Sprache der Menschenkinder durcheinandergebracht. Und von dort hat der Herr sie über die ganze Erde verstreut.

BasisBibel, © 2021 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart

Eine merkwürdige Erzählung.
Wie ein Block steht sie zwischen Abschnitten, in denen die vielen Völker und Sprachen aufgezählt werden, die als Nachfahren der Söhne Noahs gelten.
Will sie erklären, warum es so viele verschiedene sind?
In der Erzählung sprechen alle Menschen dieselbe Sprache.
Eine verlockende Vorstellung. Jede kann jeden verstehen. Keine mühsamen Verständigungsversuche sind notwendig. Alles ganz einfach.
Bis Gott alles durcheinander bringt.
Ist es denn nicht das Anliegen Gottes, die Menschen zusammen zu bringen, damit sie sich gegenseitig zu verstehen?
Aber hier sorgt er für das Gegenteil.

Ich denke nicht, dass es am grundsätzlichen Vorhaben liegt, den Turm zu bauen. Gottes Eingreifen richtet sich nicht gegen menschlichen Erfindungsgeist und Einsatz. Ich glaube, es geht um die Motivation für diesen Bau: „Wir wollen uns einen Namen machen.“
Man soll den Turm sehen und bewundern und Ehrfurcht haben vor den Kenntnissen, den Fähigkeiten, dem Reichtum und der Macht der Erbauer.
Gebäude als Prestigeobjekte sind so alt wie die Menschheit und aktuell bis heute.
Und wer ganz oben hin darf in die Luxussuite, in die Chefetage, der hat es geschafft.
In dem Wunsch, sich einen Namen zu machen, steckt wohl die Angst, unbedeutend zu sein,
aber auch ein Ehrgeiz, der in Maßlosigkeit umschlagen kann- und es oft auch tut.
Menschen sind anfällig für Maßlosigkeit- und die schadet anderen und ihnen selbst.
Wir erleben die Folgen der Maßlosigkeit unseres Konsums und Lebensstils als Klimawandel.
Menschen in anderen Teilen der Erde erleiden diese Folgen schon weit mehr als wir.
Wir erleben den Druck, mehr zu leisten in derselben Zeit, uns zu optimieren.
Sicher fallen Ihnen noch weitere Beispiele ein.
Dieser Maßlosigkeit setzt Gottes Handeln eine Grenze.
Eine Grenze, die die Menschen vor sich selbst schützen soll.
Maßlosigkeit und Angst- hilft es dagegen zu wissen, dass Gott unsere Namen kennt?
„Gott spricht: Fürchte dich nicht. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein.“ (Jes 43,1)
Wir müssen uns unseren Namen nicht selbst machen.

Noch einen Grund gibt es für das Bauvorhaben: Es ist der Wunsch, eine Einheit zu bleiben, nicht über die Erde verstreut zu werden.
Mit denen zusammen zu bleiben, die man kennt, einen Ort zu haben, an den man gehört, schafft Sicherheit.
Einheitlichkeit schafft Sicherheit.
Nur kann sie zum Druckmittel, Zwangsmittel werden, um eigene Interessen durchzusetzen und viel Leid verursachen.
Dann gehört, wer abweicht, nicht dazu, wird ausgeschlossen, abgewertet, bekämpft.
Und ist diese Einheitlichkeit nicht auch eine Illusion, die einer näheren Betrachtung nicht standhält?
In unserer Gesellschaft wird die Auseinandersetzung darüber zur Zeit geführt: Wie viel Einheitlichkeit ist notwendig, damit die Gesellschaft sich nicht in der Durchsetzung von Einzelinteressen verausgabt?
Wie sollen große Herausforderungen gemeistert werden, wenn man sich nicht als Gemeinschaft versteht? Aber worauf gründet sie sich? Auf demselben kulturellen Hintergrund? Auf der Akzeptanz des Grundgesetzes? Ist Verschiedenheit eine Gefahr oder eine Bereicherung? Oder ist das die falsche Fragestellung und es geht nicht um Bewertung, sondern darum zu akzeptieren, dass sie da ist?
In den Debatten um Migration oder sexuelle Orientierung geht es um solche Fragen.
Da finde ich es interessant und hilfreich, dass Gott Vielfalt und Verschiedenheit anscheinend für die Menschen angemessener und besser findet als große Einheitlichkeit - mit allen Problemen, die das mit sich bringt.
Denn Einheitlichkeit als Doktrin kommt nicht ohne Zwang aus und schränkt Freiheit ein oder schafft sie sogar ab.

Zerstreuung und Vielfalt von Völkern, Sprachen und Kulturen spielen auch in der Erzählung vom Pfingstfest eine wichtige Rolle.
Wunderbarer Weise verstehen Menschen, die ganz verschiedene Sprachen sprechen, was ihnen die Jüngerinnen und Jünger von Jesus und Gottes Liebe erzählen.
Gottes Kraft, Gottes Geist macht dieses Verstehen möglich.
Aber die Sprachen bleiben, die Menschen bleiben- verschieden.
Was sie verbindet, ist die gemeinsame Ausrichtung auf Jesus Christus.
(Dass die Pilger aus aller Welt, die sich in Jerusalem getroffen haben, wieder in ihre Heimat zurückkehren, ist auch eine Grundlage für die Verbreitung des christlichen Glaubens.)
Gottes Geist vertreibt die Furcht der Jüngerinnen und Jünger. Sie trauen sich aus dem Haus, mitten unter die Leute, die fremden und einheimischen. Sie trauen sich von dem zu sprechen, was sie stark macht.
Gottes Geist schafft eine Atmosphäre, die von Freundlichkeit und Güte geprägt ist und in der dadurch Verstehen möglich ist.
Über Gottes Geist können wir nicht verfügen.
Doch Gott sei Dank geschieht Pfingsten immer wieder, auch bei uns.
Wir dürfen dem Heiligen Geist einiges zutrauen und ihn bitten:
Komm, Heiliger Geist, und vertreib unsere Ängste.
Komm, Heiliger Geist, und lass uns auf andere zugehen.
Komm, Heiliger Geist, und schenk uns Kraft und Liebe und Besonnenheit. Amen.

Herzlich grüßt Sie
Ihre Pastorin Dorothee Seredszus

Die Jahreslosung 2024

Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.

1. Korinther 16,14